Als arrogante Tussi, so will Fabienne Bratschi nicht wahrgenommen werden. Auch wenn sie selbst sagt, dass sie solche Aussagen mittlerweile «eher lustig» fände.
Die Solothurnerin lebt ein unkonventionelles, ja abenteuerliches Leben. Heute ist sie Meersalz-Unternehmerin auf Inseln im Südpazifik. Zuvor hat sie jahrelang als Model gearbeitet, auch heute übernimmt sie gelegentlich Aufträge. Sie verbrachte einen Teil ihres Lebens in einer glamourösen Welt, die den meisten Menschen fremd ist. Mehrfach wurde sie während ihrer Karriere porträtiert. Nicht immer entstand dabei der richtige Eindruck, so Bratschi. Doch dazu später mehr.
Es ist ein schöner, sonniger Dienstagmorgen in Papeete, der Hauptstadt von Französisch-Polynesien. Eigentlich ist jeder Morgen hier so, zumindest ab dem Ende der Regenzeit. Fabienne Bratschi nippt an ihrer Cola. Parallel zur Hafenpromenade, wo das Café liegt, in dem wir uns treffen, verläuft die mit Palmen gesäumte Hauptstrasse Papeetes, der Boulevard de la Reine Pomaré IV.
Wie immer am Vormittag ist der Verkehr immens. Die drei Spuren der Strasse, die einzige ihrer Grösse im gesamten Inselreich Französisch-Polynesiens, sind prall gefüllt mit verschiedensten Blechkarossen aller Farben und Formen. Auffallend, trotz des Verkehrsaufkommens: Gehupt wird hier nie. «Niemand fährt aggressiv hier, nicht so wie in Zürich», sagt Bratschi.
Seit zwölf Jahren im Paradies
Sie muss es wissen. Seit zwölf Jahren lebt die 44-Jährige mehrheitlich auf Tahiti und Bora-Bora. Es stellen sich unweigerlich Fragen: Was verschlägt einen Menschen auf Inseln im Südpazifik, die auf gewissen Weltkarten nicht einmal eingezeichnet sind? So weit weg von der Schweizer Heimat, wortwörtlich ans andere Ende der Welt?
Eine etwas kryptische Zusammenfassung: Zuerst war es die Liebe. Und der Traum vom traumhaften Südsee-Inselleben. Der irgendwann an der Realität zerplatzte. Dann war es ein Herzensprojekt. Und heute ist es wieder die Liebe, und das in mehrfacher Hinsicht.
Bratschi ist mittlerweile Unternehmerin. Sie produziert Meersalz. Als Erste und Einzige in Französisch-Polynesien. Es läuft gut. Das Unternehmen wächst, Bratschis «Bora Bora Sea Salt», wie ihr Hauptprodukt heisst, findet Anklang in Luxusetablissements in den verschiedensten Ländern der Erde. Soeben kam sie zurück aus Japan, wo sie mit einem neuen Grosskunden verhandelte. Das offenbar erfolgreich:
Fabienne Bratschi weiss, was zu tun ist, weiss, was sie will. Das war schon immer so. Aufgewachsen sei sie «ganz normal, in gutbürgerlichen Schweizer Verhältnissen». Doch nach einem gutbürgerlichen Schweizer Leben strebte die in Lommiswil im Kanton Solothurn aufgewachsene Bratschi nie: «Als ich die Matura hatte, wusste ich, jetzt muss ich los, Sachen erleben.»
Anfrage als Model mit 17 Jahren
Das Schicksal schien den passenden Plan für sie bereitzuhalten. 17 Jahre alt ist Bratschi, als sie unterwegs, nahe ihrer Solothurner Heimat, im Zug angesprochen wird. Ob sie nicht Lust hätte, für eine neu eröffnete Boutique in Zürich ein paar Fotos als Model zu schiessen. «Ich war damals eher im Hippie-Look unterwegs und hatte keine Ahnung von Fashion», erinnert sie sich.
Sie macht einfach mal. Und damit fährt sie offenbar ganz gut. Das eine folgt auf das andere. Die Teenagerin findet Gefallen daran, vor der Kamera zu stehen. Ihre Fotos landen auf dem Tisch einer Zürcher Agentur. Weitere Aufträge in der Schweiz folgen. Bratschi nimmt zudem, damals unter ihrem Ledignamen Marchand, an der Miss-Schweiz-Wahl 2000 teil. «Die Siegerin bekam ein Auto und da ich zu dem Zeitpunkt gerade die Autoprüfung absolviert hatte, war das ein zusätzlicher Ansporn.»
Das Auto, einen Mercedes, kriegt sie nicht, den Sieg muss sie Mahara McKay überlassen. Doch mit dem Auftritt fasst sie endgültig Fuss in der Modelszene.
Über Umwege verschlägt es Bratschi nach Dubai in die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie wird ein gefragtes Model im arabischen Raum, lebt zwei Jahre in R'as al-Chaima, dem nördlichsten der sieben Emirate des Landes. «Das waren gute Jobs, ich konnte arbeiten, wann ich wollte, und ich wurde gut bezahlt», sagt sie.
Sie freundet sich mit der Familie des Scheichs an, macht Geschäfte mit diesem und anderen Partnern in den Emiraten. Daneben lebt sie das Leben, von dem sie als 17-jährige Maturandin geträumt hatte. «Das waren verrückte Zeiten», sagt Bratschi.
2007 Heirat mit Immobilieninvestor
Doch das unstete Leben ist 2007 schlagartig vorbei. Fabienne hat den Berner Immobilieninvestor und Millionenerben Adrian Bratschi kennengelernt. Nach 47 gemeinsamen Tagen entschliesst sich das Paar zu heiraten. Die Bratschis lassen sich in Zürich nieder, Fabienne reduziert ihre Modeltätigkeit, macht eine Ausbildung im Immobilienwesen, Tochter Lilou kommt zu Welt. Doch noch ein gutbürgerliches Schweizer Leben?
Keineswegs. 2012 packt das Paar die Abenteuerlust gemeinsam. Bei einem Urlaub auf Bora-Bora verlieben sich beide in die malerische Insel. In die Landschaften, das Klima, die Gelassenheit der Polynesier. «Wir waren vorher in Zürich. Und nichts gegen Zürich, es ist ja eine tolle Stadt. Aber manchmal fehlt ein wenig das Abenteuer», sagt sie.
Sie entscheiden sich, zu bleiben. Land zu kaufen, ein Haus, eine Villa zu bauen, an einem der exklusivsten Plätze der Erde: Auf einer der vorgelagerten Laguneninseln, Motu genannt, entsteht eines der teuersten Anwesen Bora-Boras.
Doch die Bauphase war keineswegs von Luxus geprägt. «Die Anfangszeit war echt hart. Mann, was habe ich nur gemacht», dachte sich Bratschi, wie sie erzählt. Sie lebten in einem einfachen Haus neben der Baustelle. Kein Internet, kein warmes Wasser, zudem war gerade Regenzeit in Französisch-Polynesien. Dann kann es gerne tagelang schütten. «Mann, hat mich das angeschissen», erinnert sie sich.
Doch sie hätte aus dieser Zeit auch viel lernen können. Und realisiert, wie privilegiert sie eigentlich ist. «Ich habe zu schätzen gelernt, was es heisst, in der Zivilisation zu leben: Den Wasserhahn aufzudrehen, und es kommt etwas. Oder ÖV zur Verfügung zu haben.»
Bratschi sagt über die Zeit:
Die Geduld lohnt sich. Als die Inselvilla fertiggestellt ist, leben die Bratschis ihren Südseetraum. Den weissen Privatsandstrand vor der Veranda, unter Palmen, Sonnenauf- und untergänge, wie sie dieser Planet nicht schöner zu bieten hat.
Eine einsame Insel?
Doch nicht immer ist Bratschi glücklich. Manchmal fühlt sie sich einsam auf dem Motu, das eben doch sehr abgelegen ist. Um nach Vaitape, der einzigen richtigen Ortschaft auf Bora-Bora, zu kommen, braucht man ein Boot. Und dann ein Auto. Dort findet man zwar einige wenige Restaurants und weniger Bars vor. Aber die nächste grössere Stadt ist Papeete, sieben Stunden mit der Fähre oder gut eine mit dem Flugzeug entfernt. Spontan schick essen oder eins trinken gehen, das geht nicht.
Die paar wenigen, die auf den Motus leben, müssen also auch die Lagune überqueren, um dort in den ebenfalls wenigen Läden die Einkäufe zu erledigen. Diese werden einmal pro Woche per Schiff beliefert. Stets alles zur Verfügung zu haben – eine Illusion.
Bratschi merkt, dass sie sich beschäftigen muss. Beschäftigen will. Sie schreibt ein Kinderbuch. Tochter Lilou ist zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt und liefert nebst der pittoresken Inselatmosphäre jede Menge Inspiration. Doch Bratschi brauchte mehr, etwas Längerfristiges. Was es denn hier noch nicht gebe, habe sie die Einheimischen gefragt. Honig und Salz sei die Antwort gewesen. «Honig? Also nichts gegen Bienen, aber dann stechen sie dich die ganze Zeit, nein danke. Also Salz.» Die Entscheidung war gefallen.
Der Weg zur Salzkönigin
Zusammen mit ihrem Vater, der sie damals, wir schreiben das Jahr 2013, gerade besuchte und der Ingenieur von Beruf ist, fängt sie an, sich zu informieren und zu tüfteln.
Wenn Bratschi anfängt von der Geschichte und der Herstellung ihres Produkts zu erzählen, dann ist sie kaum mehr zu stoppen. Ihre Begeisterung ist spürbar.
Sie macht am Anfang alles selbst, wie sie sagt. Beginnt ihre «Ernte» lokalen Hotels und Restaurants zu verkaufen. Über die Jahre, mittlerweile sind es knapp vier auf Bora-Bora, wächst das Unternehmen, langsam, aber stetig. Andere Dinge jedoch – ihre Ehe zum Beispiel – entwickeln sich weit weniger erfreulich.
Es ist mittlerweile Mittag in Papeete. Der Verkehr auf der Hauptstrasse hat abgenommen. Doch ein Lastwagen sorgt für Lärm, direkt neben unserem Tisch. Der Fahrer scheint unschlüssig, wo er hin will oder muss und blockiert die Zufahrtstrasse. Schwarze Wolken entweichen dem Auspuff, abgasgeschwängerte Luft umhüllt die Café-Terrasse. Das Gespräch dreht sich gerade um Lebenseinstellungen, den Umgang mit Rückschlägen. «Happy sein ist eine Entscheidung. Es ist nicht umstandsabhängig», sagt Bratschi. Sie hält inne und zeigt auf den LKW. «Siehst du den? Ich könnte mich jetzt darüber aufregen, dass der laut ist und uns die Sicht versperrt. Und stinkt. Aber man kann es auch einfach nicht tun, und stattdessen die Perspektive wechseln. Das versuche ich. Im Kleinen wie im Grossen.»
Ehe 2016 vor dem Aus
Lastwagen oder Liebe: Wie ein Perspektivenwechsel helfen kann, erfährt Bratschi vor acht Jahren. 2016 ist sie schwanger mit dem zweiten Kind. Doch gleichzeitig steht ihre Ehe vor dem Aus. «Das war eine schwierige Phase, ja. Es gab verschiedene Dinge, die ich jetzt nicht alle aufrollen will. Aber, hauptsächlich ging es darum, dass wir ursprünglich geplant hatten, zwei bis drei Jahre in Bora-Bora zu bleiben. Nach drei Jahren habe ich Adrian gefragt, wann wir weiterziehen. Er hat gemeint, sein Plan habe sich geändert, er wolle für immer da bleiben.»
So sehr sie Bora-Bora liebe und auch mit ihren Projekten und Tochter Lilou glücklich gewesen sei, so sehr habe sie gewusst, dass sie nicht ihr ganzes Leben auf der Insel verbringen könne.
Fabienne und Adrian trennen sich. Sie sagt:
Eine Zeit, in der ihr ihre Lebenseinstellung hilft. Ein Perspektivenwechsel. Bratschi lebt nach der Geburt von Sohn Leo zwei Monate in Zürich. Dort hat sie eines Abends, sie diniert gerade in einem thailändischen Restaurant, eine Eingebung.
Bratschi kauft sich ein Flugticket nach Thailand. «Ich war nicht glücklich während dieser Zeit. Und ich habe in Zürich gerade 30 Franken für mein Pad Thai bezahlt.» In Thailand, so ihre Überlegung, hätte sie einen Bruchteil für ihr Dinner bezahlt und noch dazu eine Umgebung, ein Umfeld, in dem sie auf andere Gedanken kommen könne. Also sei in ihr der Gedanke gereift, zu reisen. Mit Baby Leo im Gepäck, salopp formuliert.
Sie macht einfach mal, erneut. Und sagt heute:
Während knapp zwei Jahren tourt sie mit Leo um die Welt. Der Kleine erweist sich als der ideale Reisepartner. «Er war noch so jung, er hat die ganze Zeit geschlafen. Und bis sie zweijährig sind, bezahlen Babys nichts, nirgends.» Leos ersten Geburtstag feiert sie in Bulgarien mit Fahrenden. Sie besucht mit ihm Machu Picchu, Kuba, Kolumbien.
«Fabienne, das ist aber schon auch ein bisschen verrückt, oder?»
«Ja, viele dachten: ‹die hat einen eindeutigen Dachschaden›.»
«Hast du solche Reaktionen bekommen?»
«Ja, klar.»
«Und wie bist du damit umgegangen?»
«Also, erstens, wahrscheinlich haben sie ein bisschen recht. Aber es geht sie nix an. Zweitens waren wohl auch einige eifersüchtig. Und drittens, ist mir eigentlich egal, was andere denken. Jeder kann denken, was er oder sie will.»
Sie sei schon immer selbstbewusst gewesen und habe gemacht, was für sie passte, was sie für richtig hielt. Ein Geschenk ihrer Eltern, ihrer Erziehung, wie sie sagt. Doch nicht immer konnte sie so kompromisslos Urteile anderer über ihr Leben ignorieren wie heute.
Millionärsgattin und der ganze Seich
Als sie heiratete, als sie nach Bora-Bora übersiedelte, als sie dort lebte. Die Medien interessierten sich immer mal wieder für ihr Leben. Und porträtierten sie in verschiedenen Formaten. Es gab Schlagzeilen wie «Der Millionär und sein Model». Oder «Ein Jetset-Paar zieht in die Südsee». Es schien, als müssten die Bratschis einem bestimmten Stereotyp entsprechen. Der reiche Mann und sein schönes Model-Anhängsel.
Sie präzisiert: «Das hat mich gestört. Millionärsgattin und der ganze Seich. Klar, mein Mann war Millionär. Doch darum ging es mir doch nie.» Gewisse Medien hätten sich zuvor schon für ihr Model-Leben interessiert. «Da ging es dann halt um diese Glamour-Welt, die sie zeigen wollten.» In Dubai, zum Beispiel. Doch da sei manchmal auch ein verzerrtes Bild entstanden. «Gerade meine Zeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten war teilweise wahnsinnig unglamourös. Da bin ich manchmal wirklich einfach stundenlang in der Wüste rumgehockt.»
Der Eindruck, der in den Beiträgen vermittelt wurde, war aber ein anderer: «Da kam ich dann halt schnell einmal als arrogante Tussi rüber.» Sie sei heute vorsichtiger im Umgang mit den Medien, sagt Bratschi. Wichtig zu betonen, ist ihr vor allem eines:
Damit sind wir zurück beim Salz. Bratschis «Ding».
Olympischer Surf-Wettkampf vor der Haustür
Aktuell laufen die Olympischen Spiele in Frankreich. Auch Französisch-Polynesien kommt in den Genuss – oder trägt die Bürde, die Perspektive der Einheimischen variiert, – eines Wettkampfs auf dem Staatsgebiet. In Teahupo'o, auf dem kleineren Teil von Tahiti, fand der olympische Surfwettbewerb statt.
Ein Teil der Menschen auf Tahiti freute sich im Vorfeld auf die internationale Aufmerksamkeit und die wirtschaftlichen Vorteile, die der Event mit sich bringt. Der andere Teil, es sind vor allem gebürtige Polynesier und nicht die später eingewanderten Franzosen, können nicht viel damit anfangen. Sie wollen lieber ihre Ruhe haben und auch, dass die Natur diese hat.
Mehr zum Olympia-Surfwettbewerb auf Tahiti – mit dem Sieg des Einheimischen Kauli Vaast schrieb dieser eine schöne Geschichte für Französisch-Polynesien:
Für Bratschi birgt die Veranstaltung aber Chancen. Sie hat die Gelegenheit genutzt und gemeinsam mit ihrem neuen Partner, der als Hotelmanager auf Bora-Bora und nun auch mit ihr zusammen im Salz-Unternehmen arbeitet, eine Spezialversion ihres Produkts kreiert. «Tahiti Sea Salt», eine Zusammenarbeit mit dem französisch-polynesischen Profisurfer Michel Bourez. Es ist eines von vielen Projekten. Ihr kleines Salz-Imperium soll weiterwachsen. Den Export will sie vorantreiben, in die USA beispielsweise.
Viele Reisen im Sommer
Und sonst? Doch für immer Insel-Leben?
Aufregend ist dieses Leben auch für ihre zwei Kinder. In den Kindergarten und die Schule gehen sie den grössten Teil des Jahres über in Papeete. Sie wachsen dreisprachig auf, Französisch, Englisch, Deutsch. «Das habe ich gut hingebracht», grinst Bratschi. Den Sommer hingegen verbringt die Patchworkfamilie oft zusammen in der Schweiz. Oder sonst wo auf der Welt. Aktuell sind Leo und Lilou mit Papa Adrian in Tokio.
Ein bisschen nach Jetset-Leben hört sich das schon an. Reisen sei ihre grosse Leidenschaft, sagt Bratschi unverblümt. Nebst dem Wohlergehen ihrer Kinder, ihrer Familie und ihrer Freunde sowie dem Salzunternehmen sei es ihr das Wichtigste.
Bei 82 ist sie mittlerweile angelangt. Weitere 113 warten. Diesen Sommer kamen Äthiopien und Ghana dazu. In Afrika habe sie noch ein wenig Aufholbedarf, so Bratschi. Und dann, irgendwann, soll es nach Zentralasien gehen. Tadschikistan, Turkmenistan und so weiter. «Ich finde aber niemanden, der mit mir dahin will», sagt sie und lacht dabei.