Chris Tornes beschreibt sich selbst als «Empfänger mit grossen Ohren». Er ist einen Tag in der Woche im Hospiz, führt Seelsorgegespräche und ist «grundsätzlich einfach als Mensch da», wie er sagt. Er will das Wort «Seelsorge» nicht an die grosse Glocke hängen.
«Die ganze Bandbreite an Gefühlen hat Platz»
In Tornes Job geht es grundsätzlich darum, zu den Menschen eine Beziehung aufzubauen. Natürlich sollte dabei keine Rolle spielen, welcher Nationalität oder Religion die Person angehört. Für viele Menschen ist das Thema Sterben belastend. Besonders Angehörige leiden unter den Umständen. Doch für den Seelsorger kann es manchmal auch erfüllend sein. «Ich habe das Gefühl, dass ich den Menschen etwas geben kann, das ihnen guttut und sie weiterbringt», sagt er.
Es spornt ihn an, wenn er merkt, dass andere Menschen durch seinen Beistand und seine Worte ein wenig weiterkommen. «Bei meinen Gesprächen hat die gesamte Bandbreite an Gefühlen Platz», sagt er. Dazu gehört auch, dass Patienten weinen dürfen. «Einige werden aggressiv, wenn es um das Thema Sterben geht. Das ist ganz normal, wir alle verbinden andere Emotionen und haben einen unterschiedlichen Umgang mit dem Tod.» Es gebe auch Momente, in denen er einfach auf dem Bettrand sitzt und die Hand der Patientin oder des Patienten hält. Mit seinen «grossen Ohren», wie der Seelsorger sich immer wieder selbst beschreibt, spüre er mit der Zeit, was sterbende Menschen von ihm brauchen.
Zwischen Lebensanfang und Lebensende
Beim Eintritt in das Hospiz werden die Patientinnen und Patienten gefragt, ob sie die Begleitung von Chris Tornes wünschen. Bisher habe das Angebot noch niemand abgelehnt. Besonders schön sei es, wenn sich vorerst kritische Patienten plötzlich öffnen. Er benennt ein Beispiel: «Es gab eine Patientin, die der Seelsorge kritisch gegenüberstand. Doch nach einigen Tagen fragte sie nach mir und freute sich jedes Mal, wenn ich ins Zimmer gekommen bin.» In solchen Momenten sieht er den Schlüssel zur eigenen Horizonterweiterung – und zu mehr: «Wir Menschen würden mehr zueinander finden, wenn wir uns mehr mit dem Sterben auseinandersetzen würden», meint Chris Tornes. Denn viel Leid auf der Welt würde durch Verdrängen ausgelöst.
Aber auch Chris Tornes braucht einmal Ruhe und Distanz zu seiner Arbeit. Er ist alleinerziehender Vater von zwei Kindern. «Ich spüre das Leben, wenn ich abends nach Hause komme und die beiden in den Arm nehme.» Er stehe also zwischen Lebensanfang und Lebensende. Es ist eine Abwechslung, die im guttut. «Wir verlieren im Laufe des Lebens die kindliche Lockerheit – auch im Umgang mit dem Tod», meint er.
Der eigene Tod ist nicht planbar
Diese von Chris Tornes erwähnte kindliche Lockerheit ist bei Frau Mangiola* gut zu spüren. Bei ihr wurden Hirnmetastasen festgestellt. Christine Schneeberger stellt beim Besuch in ihrem Zimmer fest: «Ihr Zustand hat sich verschlechtert.» Trotz Erschöpfung und Müdigkeit ist Mangiola gesprächig: «Der Arzt sagte mir damals, dass ich höchstens bis Ende Dezember leben würde.»
Und trotzdem: Der eigene Tod ist nicht planbar. Mangiola erklärt: «Es gibt kein festes Datum, auf das du dich zusammen mit deinem Angehörigen vorbereiten kannst.» Seit ihrer Diagnose habe Mangiola Süssigkeiten für sich neu entdeckt. Sie liebe Süsses, allen voran Gummibärchen. Sie habe einen «Geheimvorrat» an Sugus und Co. in einer Schublade versteckt.
*Alle Namen der Patienten sind der Redaktion bekannt und wurden abgeändert. Die erwähnten Patienten sind mittlerweile verstorben.
Teil 1 der Reportage: Im Solothurner Sterbehospiz lebt das Leben
Teil 2 der Reportage: Eine Helferin durch und durch
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