Katholische Kirche

«Habe es erwartet – trotzdem ein Schock»: Bischofsvikariat St. Verena über Missbräuche

15.09.2023, 09:46 Uhr
· Online seit 15.09.2023, 05:52 Uhr
Die Katholische Kirche in der Schweiz steht momentan wegen mehreren Missbrauchsskandalen in den Schlagzeilen. Edith Rey Kühntopf, Regionalverantwortliche der Bistumsregion St. Verena, welches die Kantone Bern, Jura und Solothurn umfasst, rechnet nun mit mehr Austritten und sagt, was aus ihrer Sicht geschehen sollte.
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Today: Haben Sie die Medienkonferenz und die vorgängige Berichterstattung verfolgt? Wie ging es Ihnen dabei?

Edith Rey Kühntopf: Es ist mir sehr nahe gegangen. Die Medienkonferenz habe ich von A bis Z geschaut und es hat mich zutiefst erschüttert. Zeitweise sind mir wirklich Tränen gekommen. Das Bild der betroffenen Menschen, die so etwas mit sich herumzutragen, jahrelang nicht darüber sprechen können, kein Gehör zu finden, zum Teil auch abgewürgt werden – das ist eine Last.

In den vergangenen Jahren wurden solche Missbrauchsskandale in anderen Ländern bekannt – nun auch in der Schweiz. Wie sehr überrascht Sie das?

Die Grundstruktur hier unterscheidet sich nicht so stark von anderen Ländern, darum überrascht es mich nicht sehr. Innerlich habe ich immer mit mir gerungen: Einerseits muss man realistisch sein, trotzdem hatte ich insgeheim die Hoffnung, dass es nicht ganz so schlimm wird. Eigentlich habe ich es erwartet – trotzdem war es ein Schock.

Wie sehr schaden diese Skandale dem Ruf der Katholischen Kirche?

Es geht in erster Linie nicht um den Ruf der Kirche, sondern um die betroffenen Menschen. Sie sollen jetzt Gehör finden und ihr Leiden soll anerkannt werden. Diesen Menschen sollte man mit Fairness begegnen. Der Ruf der Kirche ist zweitrangig.

Wie waren die Rückmeldungen, die Sie in den letzten Tagen erreicht haben?

Telefonisch hatte ich keinen direkten Kontakt. Bei einem Pastoralbesuch am Dienstagabend habe ich bemerkt, wie es die Leute beschäftigt. Es macht betroffen und man stellt sich Fragen. Den Leuten an diesem Treffen ging das schon sehr unter die Haut. Überall wo man hinkommt, ist es unausgesprochen im Raum. Jetzt müssen wir lernen, damit umzugehen.

Sind Ihnen schon Austritte aus der Kirche wegen der neuen Enthüllungen bekannt?

Es ist noch zu früh, etwas dazu zu sagen, aber ich denke, dass es Austritte geben wird. Für uns ist es sowieso eine aktuelle Frage, wer künftig die Kirche mitträgt und Vertrauen in sie hat. Können Menschen in der Institution Kirche ihren Glauben weiterhin pflegen oder machen sie es in einer anderen Form? Diese Fragen beschäftigen uns schon länger, werden jetzt aber wahrscheinlich mit einer höheren Dringlichkeit auf uns zukommen.

Was braucht es jetzt, um solche Missstände künftig zu verhindern?

Wir arbeiten bereits mehrere Jahre daran und haben beispielsweise Pflichtkurse für die Seelsorgenden im Bereich Nähe und Distanz. Da ist der Bischof sehr konsequent. Pastoralräume sind aufgefordert, gemeinsam mit den Verantwortlichen Schutzkonzepte zu erarbeiten. In einigen Pastoralräumen gibt es diese bereits. Es ist viel Arbeit, die auf uns zukommt. Die Bischofskonferenz hat zudem kommuniziert, dass sie Massnahmen ergreifen wird. So wird es beispielsweise eine nationale Meldestelle geben, die unabhängig von der Kirche ist.

Es wurde auch erwähnt, dass es wohl eine hohe Dunkelziffer an solchen Fällen gibt. Was sagen Sie dazu?

Ich bin sehr froh, dass sich die Bischofskonferenz, die Römisch-Katholische Zentralkonferenz, und die Konferenz der Vereinigungen der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS) gemeinsam entschieden haben, dass das Forschungsprojekt der Universität Zürich weitergehen soll. So kann man genauer hinschauen und in die Tiefe gehen. All das, was passiert ist, müssen wir entgegennehmen und lernen, damit zu leben.

Die Kirche hat Schuld auf sich geladen, die sie nicht einfach entschuldigen kann. Es geht nun darum, die Schuldigen zu identifizieren und den Betroffenen Gerechtigkeit zukommen zu lassen.

Wie kann diese Gerechtigkeit erreicht werden?

Im Umgang mit den Betroffenen wünsche ich mir, dass sie gehört und in ihrem Leiden ernst genommen werden und dass nichts beschönigt wird. Die Täter müssen für ihre Taten gerade stehen und der staatlichen Rechtsprechung übergeben werden. Da sind wir dran. Übergriffe sollen gemeldet, angezeigt und rechtlich aufgearbeitet werden.

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veröffentlicht: 15. September 2023 05:52
aktualisiert: 15. September 2023 09:46
Quelle: BärnToday

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