Beschwerden von Saisonarbeitenden

«Wir wollen wie Menschen behandelt werden»

28.02.2024, 06:47 Uhr
· Online seit 27.02.2024, 12:17 Uhr
Ausländische Saisonarbeitende erheben schwere Vorwürfe gegen zwei Unternehmen im Berner Oberland. Eine von ihnen spricht im Interview von einer «unmenschlichen» Wohnsituation, «willkürlichen» Mietpreisen und schlechten Arbeitsbedingungen.
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«Wir kommen hierher aus Italien, Spanien, aus der Slowakei, wir sind alles Menschen und wollen wie Menschen behandelt werden. Wir sind doch alle gleich, egal woher wir kommen», sagt Laura Vico Martinez. Die Spanierin ist als Gastarbeiterin im Berner Oberland tätig. Zusammen mit anderen Gastarbeitenden erhebt sie schwere Vorwürfe gegen Unternehmen an der Lenk und in Zweisimmen. Konkret richtet sich die Kritik gegen das zur Kappeler Gastro AG gehörende Unternehmen Hüttenzauber, bei dem sie selbst beschäftigt ist, sowie gegen die Bergbahnen Adelboden-Lenk.

Bei einem Besuch vor Ort zeigt die Spanierin ihre Wohnsituation. Mit 17 weiteren Arbeitenden von verschiedenen Unternehmen teile sie ein Haus, das zurzeit renoviert wird. Einige Zimmer sowie die Küche und der Keller sind offensichtlich von Mäusen befallen. Viele teilen sich ein Zimmer, manche teilen sich sogar ein 90 Zentimeter breites Bett. Von Dezember bis Februar hätten sie ohne Dach gelebt, lediglich eine Folie sei über das Haus gespannt gewesen.

Willkürliche Mietpreise?

Laura Vico Martinez teilt sich ebenfalls ein Zimmer mit einer zweiten Person. Der Preis: monatlich 500 Franken pro Person. «Die Preise werden willkürlich gemacht. Anfangs sollte ich 700 Franken bezahlen», erzählt sie. Dagegen habe sie sich gewehrt, da ihr zuvor ein tieferer Mietpreis in Aussicht gestellt worden sei. Daraufhin habe ihr der Chef eine E-Mail des Hausbesitzers gezeigt, wonach der Preis in der Zwischenzeit erhöht worden sei, habe dann aber eingelenkt.

In der gleichen E-Mail ist laut Vico Martinez ersichtlich gewesen, dass die Kappeler Gastro AG 2'900 Franken pro Monat für die Miete der sechs Zimmer in der Liegenschaft bezahlt. Rechnet man die 2'900 Franken durch die Anzahl der Zimmer, müsste ein Zimmer lediglich 480 Franken kosten – bei einem geteilten Zimmer also 240 Franken pro Person.

Für 18 Leute stünden zwei Badezimmer zur Verfügung, plus eine Dusche, die in einem Zwischengang aufgestellt wurde. Zu der «unmenschlichen» Wohnsituation käme auch noch dazu, dass sie auch auf der Arbeit schlecht behandelt würde, erzählt Laura Vico Martinez: «Ich habe im Restaurant bei der Mittelstation des Rinderbergs abends gearbeitet. Als ich fertig war, ist die Gondel nicht mehr gefahren.» Sie habe dann mit dem Schlitten nach Hause fahren müssen. «Sie gaben mir weder Licht noch ein Walkie-Talkie, um mich zu melden, wenn etwas passiert wäre oder wenn ich mich verfahren hätte. Ich konnte nichts sehen, es war wirklich gefährlich. Aber niemanden kümmert das.»

«Niemand kümmert sich um uns» 

Die Spanierin arbeitet nicht das erste Mal in der Schweiz. Sie sehe aber Unterschiede zwischen der Arbeit in einer Stadt wie zum Beispiel Lausanne und der Arbeit in den Bergen: «Hier kümmern sich die Leute nur um reiche Personen, aber niemand kümmert sich um uns.»

Gemeinsam mit anderen hat sie die Freie Arbeiter*innen Union (FAU) kontaktiert, welche sich nun mit ihnen für bessere Arbeitsbedingungen im Berner Oberland einsetzen. Doch für Vico Martinez ist klar: «Ich werde nie zurückkommen und nochmal für dieses Unternehmen arbeiten.»

«Wir geben die Mietzinse 1:1 weiter» 

Die Kappeler Gastro AG äussert sich schriftlich zu den Vorwürfen der Arbeiterinnen und Arbeiter und der FAU: «Wir stehen hinter dem L-GAV (Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes) und halten uns daran. Wir zahlen meist Löhne über dem Mindestlohn. Die minimalen Lohnabzüge für Mahlzeiten oder Unterkunft sind gesetzlich vorgeschrieben und dürfen nicht umgangen werden.»

Weiter schreibt das Unternehmen zur Wohnsituation der Arbeitenden: «Viele Mitarbeitende wünschen bei der Anstellung eine Unterkunft. Wir helfen entsprechend bei der Wohnungssuche. Zum Teil mieten wir für Mitarbeitende Studios oder Zimmer, welche wir anschliessend weitervermieten. Dies sehen wir als Dienstleistung gegenüber den Mitarbeitenden. Wichtig zu sagen ist, dass niemand gezwungen wird, im Betrieb oder in einer von uns organisierten Unterbringung zu wohnen. Wir geben die Mietzinse 1:1 weiter, inklusive Nebenkosten.»

Zum Mietpreis von Laura Vico Martinez nimmt die Kappeler Gastro AG folgendermassen Stellung: «Es ist korrekt, dass Frau Martinez 500 Franken Miete zahlt. In ihrem Vertrag ist sie aber die alleinige Mieterin des Zimmers und teilt dies nicht.»

Hausvermieter schliesst Mäuse nicht aus

Die Kappeler Gastro AG mietet die Zimmer beim Immobilienbüro Orgenta 1. Auch dieses nimmt schriftlich Stellung zu den Vorwürfen der Saisonarbeitenden: «Das Stöckli hat 12 Zimmer und eine Wohnung, mit 7 WC, 1 Pissoir und 5 Duschen. Das Dach hat zu keinem Zeitpunkt geronnen, aufgrund einer neuen Fassade wurde das Dach neu gemacht. Es war jederzeit dicht. Im Kellergeschoss, welches für die Mieter geschlossen ist, hat es immer bei längerem Hochwasser der Simme etwas Wasser, welches mit einer Pumpe sofort entsorgt wird.»

Dass es Mäuse im Haus hat, sei dem Vermieter unbekannt. Aber: «Bei einem alten Haus und nicht entsorgten Lebensmitteln von Seite der Bewohnerschaft wäre es möglich.»

veröffentlicht: 27. Februar 2024 12:17
aktualisiert: 28. Februar 2024 06:47
Quelle: BärnToday

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