Im Herbst 2023 deckte die Universität Zürich in einer Studie zahlreiche Missbrauchsfälle in der römisch-katholischen Kirche auf. In verschiedenen reformierten Kirchgemeinden in der Region sei man von der Austrittswelle generell nicht so stark betroffen. Aber: «Bei uns sind dieses Jahr noch nie so viele Leute ausgetreten, wie zuvor», sagt Sybille Knieper-Meyer, Pfarrerin der reformierten Kirchgemeinde Oberbipp auf Anfrage. Man spüre die Austritte also, seitdem die Studie herausgekommen ist. In Oberbipp habe man dennoch eine massivere Austrittswelle erwartet.
In Oberbipp gilt Meldepflicht
Knieper-Meyer beobachtet, dass beide Kirchen vielmals in denselben Topf geworfen würden. «Manche können nicht mehr zwischen römisch-katholisch und reformiert unterscheiden. Ihre Wut und Enttäuschung richtet sich dann gegen beide Institutionen», sagt Knieper-Meyer. Das führe dazu, dass auch Austrittsgesuche aus der katholischen Kirche auf ihrem Tisch landen würden.
Knieper-Meyer hat im November einen Artikel über das Thema im Kirchenblatt veröffentlicht und darin klar Stellung gegen jegliche Form von Missbrauch bezogen. Unter dem Artikel hat die Pfarrerin ihre Telefonnummer vermerkt. «Bei uns können sich jederzeit alle melden, die Opfer von Missbrauch geworden sind.» Ausserdem verpflichten sich alle Mitarbeitenden der reformierten Kirche, Missbräuche sofort zu melden.
«Gemeinsam die Fälle verstehen und aufarbeiten»
Anders sieht es in Roggwil aus. Hier macht Pfarrer Werner Ammeter eine interessante Beobachtung: «Seit den Missbrauchsfällen finden mehr Leute ihren Weg in unsere Kirche als vorher.» Er betont aber, dass er erst seit zwei Monaten in Roggwil als Pfarrer waltet und daher nur schwer beurteilen könne, wie es vorher war.
Früher war Werner Ammeter in der Kirchgemeinde von Kirchberg tätig. Da seien die Gottesdienste immer gut besucht gewesen. Das habe sich auch mit der Missbrauchsaffäre nicht geändert. Und auch die jungen Leute im Alter zwischen 20 bis 30 seien in den Gottesdiensten gut vertreten gewesen. «Es ist bei uns ein grosses Miteinander. Zusammen versuchen wir, die Fälle zu verstehen und aufzuklären - gemeinsam mit den Kirchengängerinnen und Kirchengängern», erklärt Ammeter.
Eine wachsende Kluft
Im Kanton Solothurn verzeichnen die reformierten Kirchen wegen der Missbrauchsvorfälle der katholischen Kirchen vermehrt Austritte, schrieb kürzlich die «Solothurner Zeitung». Doch es ist nicht bei allen Kirchgemeinden gleich. Auch in der solothurnischen reformierten Kirchgemeinde Luterbach-Deitingen gebe es nach wie vor Kirchenaustritte. «Es sind aber nicht überdurchschnittlich mehr Austritte als vor der Veröffentlichung der Studie», sagt Pfarrer Pavel Roubik. Konkret gebe es 3 bis 5 Austritte pro Monat. «Das ist zwar nicht wenig. Aber im Vergleich zu anderen Pfarrkreisen in der Umgebung stehen wir nach wie vor nicht schlecht da», sagt Robik weiter.
Roubik glaube, dass die Veröffentlichung der Studie per se nicht zu dieser Austrittswelle geführt habe – weder in der römisch-katholischen noch in der reformierten Kirche. Er beobachtet stattdessen einen Verlust der Relevanz: «Die Kirche ist für viele immer weniger wichtig. Es entsteht eine immer grössere Kluft zwischen dem eigenen Glauben und der Kirche.» Er betont, dass die Auswirkungen der Studie erst zu einem späteren Zeitpunkt ganz nachvollziehbar seien. Seitens der Pfarrei gelte weiterhin, über die Missbrauchsfälle aufzuklären.
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