Genossenschaftsbeiz

Die Wiege der Solothurner Literaturtage: Das «Kreuz» wird 50 Jahre alt

20.05.2023, 12:07 Uhr
· Online seit 20.05.2023, 11:43 Uhr
Eine Gruppe junger Leute hat vor 50 Jahren ein ehemaliges Hotel in Solothurn übernommen. Im «Kreuz» wird seither diskutiert, politisiert, ideologisiert und über Ideen gebrütet. So entstanden dort auch die Solothurner Literaturtage.
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Die Literaturtage sind fester Bestandteil des Kulturprogramms der Stadt Solothurn – und die «Genossenschaftsbeiz» Kreuz ist fester Bestandteil der Literaturtage – und das seit dem Start des Literatur-Festivals vor 45 Jahren. Die Geschichte vom Kreuz ist noch länger. Das kultige Restaurant in der Solothurner Altstadt feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag als Genossenschaftsbetrieb.

Von Anfang an mit dabei im Kreuz war Rolf Niederhauser. Der Autor hatte 1973 die Genossenschaft Kreuz mitgegründet und die Anfangszeit des Restaurants gleich in einem Roman verarbeitet. Fünf Jahre später gründete er zusammen mit Peter Bichsel, Otto F. Walter und anderen Schriftstellern die Solothurner Literaturtage. Bei diesen ist er heute als Vorstandsmitglied tätig.

Die Welt vor 50 Jahren sei der von heute nicht unähnlich gewesen, sagt Niederhauser. Gerade die jungen Leute hätten damals eine Zeit des wirtschaftlichen und technischen Aufschwungs erlebt. Es habe gleichzeitig aber auch viel Unsicherheit und Angst gegeben – einerseits wegen der zunehmenden Bedrohung durch den kalten Krieg, anderseits wegen der immer noch wachen Erinnerung an die furchtbaren Weltkriege und ihre Folgen. «Wir haben probiert, neue Formen des Problemlösens, des Zusammenlebens und des zusammen Arbeitens zu finden.»

Aus diesem Antrieb gründete Rolf Niederhauser zusammen mit anderen Gleichgesinnten einen Verein. Dieser konnte die «Wirtschaft» Kreuz 1973 vom Besitzer Ruedi Strub kurz vor dessen Ableben abkaufen. Dort versuchten die Genossenschafterinnen und Genossenschafter, neue Lebensformen im Alltag zu entwickeln.

Wohngemeinschaft für 20 Leute

Ungefähr 20 Leute bildeten in den ersten Jahren im ehemaligen Hotel Kreuz eine Wohngemeinschaft. Dabei hätte es sehr unterschiedliche Menschen gehabt, sagt Rolf Niederhauser. «Alleinerziehende Mütter haben so Arbeit und den Alltag mit den Kindern verbinden können. Es wohnten Lernende im Kreuz, die an ihrem Lehrplatz Mühe hatten oder es gab Architekten in der Gruppe. Andere Leute gründeten eine Theatergruppe und ich habe schon damals als Autor gearbeitet», sagt Rolf Niederhauser.

Andere Literaten waren Stammgäste im Kreuz. Peter Bichsel oder Otto F. Walter waren regelmässig dort anzutreffen. Man traf sich in der Gaststätte und diskutierte unter anderem über kulturelle Belange. Dabei entstand die Idee, dass man neben den bereits bestehenden Solothurner Filmtagen in der Stadt doch auch eine Plattform für die Literatur schaffen sollte. So wurden 1978 die Solothurner Literaturtage gegründet und als Werkschau für das professionelle literarische Schaffen positioniert. Die erste Ausgabe fand am 25. Mai 1979 im Kreuz statt.

Das Kreuz war eine Spelunke

Das Kreuz war damals eine richtige Spelunke, lacht Niederhauser. Es sei viel geraucht und getrunken worden. «Wir haben aber auch versucht, eine Atmosphäre zu schaffen, in der man miteinander sprechen und diskutieren konnte und in der gute Ideen entstehen konnten. Wir haben auch versucht, ein möglichst gemischtes Publikum ins Kreuz zu bringen», sagt Niederhauser weiter.

Nicht alle Ideen konnten verwirklicht werden. Die Wohngemeinschaft sei nach ein paar Jahren aufgelöst worden. Dafür hätte es im Haus wieder günstige Hotelzimmer gegeben. Mit der Zeit habe sich auch das Kreuz als Restaurant verändert. Es habe sich normalisiert, sagt Rolf Niederhauser – so wie sich auch die Stadt Solothurn normalisiert habe.

Auch heute noch wichtiger Teil der Literaturtage

Das Kreuz in Solothurn ist auch heute noch das Zentrum der Literaturtage und ein wichtiger Treffpunkt für die Gäste und Autoren. Der grössere Teil der Veranstaltungen findet aber schon länger in anderen, grösseren Räumlichkeiten in der Stadt statt. Das Kreuz ist und bleibt aber Wiege und Geburtsort des literarischen Festivals.

Die Anfangsgeschichte vom Kreuz als Genossenschaftsbeiz hatte Rolf Niederhauser schon in den 70er-Jahren niedergeschrieben und als Buch veröffentlicht. Jetzt, zum 50-Jahr-Jubiläum des kultigen Lokals gibt es dieses Buch als Neuauflage wieder zu kaufen und zu lesen. Es heisst «Ein paar junge Leute haben es satt, zu warten auf das Ende der blossen Vermutung, dass es bessere Formen menschlicher Gemeinschaft gibt» und es ist im Verlag «Der gesunde Menschenversand» erschienen.

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veröffentlicht: 20. Mai 2023 11:43
aktualisiert: 20. Mai 2023 12:07
Quelle: 32Today

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