Gesundheitskosten

«Wollen faire Tarife»: Physio-Verband wehrt sich gegen Sparpläne des Bundesrates

· Online seit 10.10.2023, 09:43 Uhr
Die Gesundheitskosten sind die aktuell grösste Sorge der Schweizer Bevölkerung. Der Bundesrat hat deshalb eine neue Tarifstruktur bei der Physiotherapie vorgeschlagen. Diese kommt beim Verband Physioswiss nicht gut an. Eine Petition dagegen wurde gestartet.
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Christine Stebler Fischer ist Präsidentin von Physio Solothurn, dem Kantonalverband von Physioswiss. Wir haben mit ihr über die Bedenken der Physiotherapeuten gegenüber der neuen Tarifstruktur, wie sie der Bundesrat vorschlägt, gesprochen.

Frau Stebler Fischer, was will die Petition von Physioswiss genau?

Wir wollen, dass die Physiotherapie endlich faire Tarife erhält. Die Krankenkassen sollen an den Verhandlungstisch kommen und mit uns zusammen die Tarife aushandeln, so wie es das Gesetz vorsieht. Wir wehren uns gegen den Eingriff des Bundesrats bei der Tarifstruktur.

Was wären denn die Folgen für die Branche, wenn die Tarife so kommen, wie der Bundesrat vorschlägt?

Die Attraktivität des Berufs würde sinken, weniger Personen würden ihn noch wählen. Viele Babyboomer, die sich im letzten Drittel des Arbeitslebens befinden, würden wohl aufhören oder sich auf Privatpatienten und Zusatzversicherte spezialisieren. Das wäre fatal, weil wir bereits heute Wartelisten für die Patienten haben. Wir befürchten, dass gerade ältere, schwerkranke oder Reha-Patienten nicht mehr angemessen behandelt werden könnten.

Und die Folgen für Sie und ihre Praxis?

Unser Team würde schrumpfen. Ich weiss von zwei Mitarbeitenden, dass sie aufhören würden, sollten die Änderungen kommen. Und es würde mir wahnsinnig leid tun für meine jungen Kolleginnen im Team, die dann keine Perspektive mehr hätten, obwohl sie so engagiert arbeiten und sich weiterbilden. Schon heute reicht das Geld nicht, um unsere gut laufende Praxis weiterzuentwickeln und für die nächste Generation vorzubereiten. Wir können schon jetzt nicht genug investieren und mit den Änderungen würde sich das noch verschärfen.

Was verdient man denn so als Physio?

Die neuste Datenerfassung zeigt, dass eine Physiotherapeutin oder ein Therapeut rund 60 Franken pro Stunde verdient. Es ist schwierig, so kostendeckend zu arbeiten. Zusammen mit der Teuerung und dem Fachkräftemangel, der zu höheren Lohnforderungen führt, ist das wirklich fatal. Die Folge ist überlastetes und frustriertes Personal. Frustriert, weil man sich sehr bemüht hat in den letzten Jahren und jetzt das Gefühl erhält, dass es einen Schritt rückwärts geht.

Der Anteil der Physiotherapie an den Gesundheitskosten in der Schweiz hat in den letzten Jahren zugenommen. Bei der aktuellen Prämienexplosion ist der Sparwunsch des Bundesrats doch verständlich, oder nicht?

Die Kosten in der Physiotherapie haben aus einem einfachen Grund zugenommen. In der Gesundheitspolitik verfolgt man konsequent das Modell «ambulant vor stationär», was Sinn macht, weil es z.B. die Kosten in den Spitälern senkt. Wenn Patientinnen und Patienten früher aus dem Spital entlassen werden, müssen sie entsprechend betreut werden. Das erledigen normalerweise die Angehörigen, die Spitex und die Physio. Es ist also nur logisch, dass die Kosten in Richtung Physio verlagert werden. Die Krankenkassen haben das nun in den Zahlen gesehen und der Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit gehen darauf ein. Warum wissen wir nicht.

Sie sagen also, die Physio ist kein Kostentreiber?

Im Gegenteil, wir verhindern durch unsere Arbeit teure Operationen (z.B. bei Kreuzbändern und Bandscheiben), wir machen ambulante Rehabilitationen, die viel günstiger sind als stationäre und noch viel mehr. Dadurch wird im Gesundheitssystem letztlich sogar Geld gespart.

Wo sehen sie denn das Problem bei den explodierenden Krankenkassenprämien?

Man müsste das gesamte System überdenken. Ein Obligatorium mit einem fixen Angebot, wie bei der Grundversicherung, lässt sich nicht mit dem marktwirtschaftlichen Instrument der Konkurrenz unter den Krankenkassen kombinieren. Das widerspricht sich meiner Meinung nach in sich. Bis jetzt hat man immer nur bei einzelnen Leistungserbringern herumgeschraubt – mal waren es die Hausärzte, mal die Apotheken, mal die Hebammen. Erreicht hat man damit nichts, im Gegenteil.

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veröffentlicht: 10. Oktober 2023 09:43
aktualisiert: 10. Oktober 2023 09:43
Quelle: 32Today

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