Boomender Boxunterricht

«Boxen hilft Kindern, den Schulstress abzubauen»

06.03.2024, 14:50 Uhr
· Online seit 18.11.2023, 12:58 Uhr
Nathalie Strassmann unterrichtet Schülerinnen und Schüler im Boxen. Sie erzählt, warum Boxen einen kleinen Boom erlebt, wie der Sport Kindern und Jugendlichen bei Depressionen helfen kann und wieso gerade Mädchen profitieren.
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Skifahren, Fussball, Velofahren, Wandern, Tanzen und Schwimmen – laut dem Kinder- und Jugendbericht Sport 2020 sind das die beliebtesten Sportarten der Schweizer Kinder und Jugendlichen. Auf die Frage, welchen Sport die Kinder und Jugendlichen am liebsten erlernen würden, sticht eine Sportart heraus: Kampfsport.

Eine, die den Boxsport bei Kindern und Jugendlichen weiter fördern möchte, ist Nathalie Strassmann. Die ehemalige Polizistin ist zertifizierte Boxtrainerin, Jugend-und-Sport-Leiterin und bietet mit ihrer Firma «be ready» Boxtrainings und Selbstverteidigungskurse im Raum Zürich, Winterthur und Schaffhausen an. Seit einiger Zeit unterrichtet sie Light-Contact-Boxing an Schulen. Und es scheint, dass die Schweizer Jugendlichen ihren Wunsch, Kampfsport zu betreiben, immer mehr in die Tat umsetzen, wie Strassmann im Interview mit der Today-Redaktion erzählt.

Today: Nathalie Stassmann, wie steht es um den Boxsport in der Schweiz?

Boxen wird langsam salonfähig. Es hatte lange den Ruf des «Schlägertums» und von Brutalität. Jetzt habe ich das Gefühl, dass Boxen wieder aufkommt.

Warum kommt Boxen gerade jetzt wieder auf?

Wegen der Globalisierung. Heute kann jeder einen Boxkampf im Internet mitverfolgen und die Boxer sind sehr präsent auf Social Media. Sie erzählen Geschichten, geben Talks vor den Kämpfen und es gibt Drama. Das mögen die Leute! Wenn ich Boxen oder Selbstverteidigung an Schulen unterrichte, sprechen die Kinder über diese Boxkämpfe. Das war früher gar nicht möglich, weil man zu einem Boxkampf weit reisen musste und als Kind sowieso nicht zuschauen durfte. Boxen ist jetzt aber allgegenwärtig. Es hat für die Kinder etwas «Vorbildmässiges» und Heldenhaftes. Ausserdem ist Light-Contact-Boxing neu eine Jugend- und Sport-Sportart. Boxen wird deshalb vermehrt an Schulen unterrichtet.

Wird Boxen auch bei Mädchen und Frauen beliebter?

Boxen boomt bei Frauen und Mädchen nicht mega. Es ist aber kein Tabuthema mehr, wie früher. Lange war es Frauen gar nicht erlaubt, zu boxen. Erst 2012 durften Boxerinnen an den Olympischen Spielen teilnehmen. Die Boxwelt ist aber nach wie vor sehr männlich dominiert. Bei den Wettkämpfen bin ich immer die einzige weibliche Trainerin. Aber Frauenfussball etwa wird langsam populärer und bekommt mehr Anerkennung. Das hat einen Einfluss aufs Boxen.

Was glaubst du, warum Boxen bei Mädchen und Frauen bislang nicht so beliebt war?

Der Hauptgrund ist, dass man geschlagen wird und zurückschlagen muss. Du wirst getroffen, vor allem im Gesicht. Für viele Frauen sind Schönheit – schöne Haut und lange Fingernägel – wichtig. Wenn du Boxhandschuhe trägst, kannst du keine langen Fingernägel haben und mit Make-up kannst du nicht kämpfen, du schwitzt zu stark. Frau-Sein wird ausserdem mit Nett-Sein assoziiert, Mann-Sein mit Härte.

Trotzdem findest du, mehr Mädchen sollten boxen. Wieso?

Das Selbstbewusstsein steigt. Die Mädchen lernen, ihre eigene Kraft besser einzuschätzen und Gefahren realistisch zu beurteilen. Ihr Gefahrenbewusstsein wird gestärkt.

Was braucht es also, damit sich mehr Mädchen für den Boxsport interessieren?

Mädchen und Frauen allgemein müssen gefördert werden. Das mache ich neu bei Atleta, dem Mädchensport-Förderungsprogramm der Stadt Zürich. Hier gehe ich an Schulen und unterrichte explizit Mädchen im Boxen. Die Stadt Zürich verschickt einen Prospekt an alle Schulen. Diese können sich bei mir melden und dann unterrichte ich die Mädchen im Light-Contact-Boxing. Die Schulen zahlen nichts. Die Rechnung geht an die Stadt.

Wie gross ist die Nachfrage nach Boxkursen an Schulen?

Seit diesem Jahr steigt die Nachfrage. Früher wurde ich fast nur für Selbstverteidigungskurse angefragt, mittlerweile auch für Kurse im Light-Contact-Boxing. Wenn J+S mehr kommuniziert, dass es Light-Contact Boxing gibt, wird die Nachfrage nach den Kursen noch weiter steigen.

Die meisten stellen sich unter Boxunterricht wohl vor, dass Kinder einander aufs Dach geben. Kannst du erklären, was du den Schülerinnen und Schülern genau beibringst?

Ich gebe immer Doppellektionen. Erst stelle ich mich und die Regeln vor. Hält sich jemand nicht daran, verteile ich Rote Karten. Dann wärmen wir uns auf und führen koordinative Übungen durch, bevor wir mit Schattenboxen, Theorie und Partnerübungen fortfahren. Danach montieren wir Boxhandschuhe und Pratzen und üben verschiedene Boxkombinationen. Hier können sich die Kinder voll auspowern. Im Anschluss gebe ich noch einen Theorieblock zur rechtlichen Situation. Was passiert, wenn ich jemandem auf der Strasse schlage? Ich sage den Kindern klar: Auf dem Pausenplatz haben Fäuste nichts verloren. Danach können sie besser einschätzen, was für eine Verantwortung sie in ihren Fäusten tragen. Nach dem Unterricht gehen alle immer mega zufrieden.

Warum sollen Kinder und Jugendliche überhaupt boxen?

Mir gefällt, dass Boxen ein Ganzkörpertraining ist. Es ist gut für das Herz-Kreislaufsystem und man verbrennt Fett. Koordination und Reflexe werden trainiert und Hormone ausgeschüttet. Man fühlt sich nach dem Training gut und hat etwas geleistet. Ausserdem trainiert man im Team, ist Teil einer Community. Zudem fördert Boxen die mentale Gesundheit. Es kann ein Ventil sein: Boxen hilft, den Schulstress abzubauen. Es reicht schon, wenn die Jugendlichen zwei Minuten in einen Boxsack reinschlagen. Es ist cool zu sehen, dass der Stress danach abnimmt.

Was willst du mit dem Boxunterricht an den Schulen erreichen?

Ich will Jugendliche dazu animieren, Sport zu machen. Hauptsache, sie bewegen sich und kommen weg vom ständigen Sitzen, Vapen oder auch Drogen-Konsumieren. Ich will die Jugendlichen quasi von der Strasse holen. Und ich will auch Depressionen eindämmen – und zwar bereits an den Schulen. Denn bei der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sehe ich ein grosses Problem. Dagegen ist Boxen für mich etwas vom Besten. Man muss nicht gleich in den Ring steigen. Nur schon das Training hilft und schafft einen Ausgleich. Boxen ist eine gute Voraussetzung für ein gutes Leben.

veröffentlicht: 18. November 2023 12:58
aktualisiert: 6. März 2024 14:50
Quelle: Today-Zentralredaktion

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