Umweltschutz

Deshalb gibt es in der Schweiz (noch) kein Pfandsystem

05.10.2023, 20:32 Uhr
· Online seit 03.10.2023, 07:15 Uhr
In Skandinavien gibts seit Jahrzehnten ein Pfandsystem, ebenso in Deutschland. Bald kommt das Einwegpfand auch nach Österreich. Wo steht die Schweiz mit dem Pfand? Bund und Branche sind dagegen, aber auch Stimmen dafür erheben sich immer wieder.
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Österreich führt ab 2025 ein Einwegpfandsystem ein. Wer dann Alu-Dosen oder Plastikflaschen kauft, zahlt 25 Cent als Pfand, wie das Umweltministerium vergangene Woche bekannt gab. So schütze man die Natur und sorge dafür, dass Plastikflaschen und Dosen fachgerecht recycelt werden. In Deutschland wurde 2003 eine Pfandpflicht auf Einwegverpackungen eingeführt. Seit 2006 müssen alle Geschäfte, die Getränke in Einwegverpackungen verkaufen, diese auch zurücknehmen – jeweils für 25 Cent.

In den meisten anderen europäischen Ländern gibt es kein Flaschen- oder Dosenpfand, abgesehen von Mehrweg-Bierflaschen. In Portugal gibts auf gewisse Getränke Pfand und in Tschechien werden alle Halbliter-Mehrweg-Bierflaschen bepfandet. Vor allem in Skandinavien gehört Pfand seit Jahren zu einem etablierten System. Schweden hat das älteste Pfandsystem, das es seit 1885 gibt. In den 80er-Jahren kam Dosenpfand dazu, in den 90ern Pfand auf Glas- und Pet-Einwegflaschen. Auch Norwegen (1999), Dänemark (2002), Finnland (2008) und Estland (2009) führen seit Jahren ein nationales Pfandsystem.

«Pfand gibt den Ressourcen in der Verpackung einen monetären Wert»

In der Schweiz ist Pfand immer wieder ein Thema – auch politisch. Im Nationalrat gab es letztmals 2020 einen Vorstoss in Form einer parlamentarischen Initiative von Alois Gmür (Die Mitte), in dem er die Einführung eines Pflichtpfands forderte. Die Nationalratskommission für Umwelt, Raumplanung und Energie diskutierte den Vorschlag und kam zum Schluss, dass die Problematik des Litterings wie auch die Förderung von Mehrwegverpackungen und Recycling über die Frage des Pfandes hinausgeht. Die parlamentarische Initiative wurde zurückgezogen.

Das Thema tritt auch auf kantonaler Ebene auf. Das Solothurner Parlament diskutierte im März über die Einführung eines Dosen- und Flaschenpfands. Der Kantonsrat lehnte den Auftrag an die Regierung, eine Standesinitiative zuhanden des Bundesparlaments vorzubereiten, mit einer grossen Mehrheit ab. Marlene Fischer (Grüne) stimmte dafür. Gegenüber der Today-Redaktion erklärt sie, man müsse die Stoffflüsse grundsätzlich revolutionieren. «Aktuell laufen die nämlich linear: Wir konsumieren und schmeissen weg. Dieses Selbstverständnis müssen wir ändern, um eine Kreislaufwirtschaft zu entwickeln.» Die Frage, ob jemand eine Pet-Flasche korrekt entsorgt oder in den Abfall wirft, würde damit wegfallen. «Wir sehen die Pet-Flasche als Ressource, die im Kreislauf bleiben muss. Dabei hilft meiner Meinung nach das Pfand.»

Das Pfand gebe den Ressourcen in der Verpackung einen monetären Wert. Und: «Sobald etwas ein Preisschild hat, konsumieren wir es bewusster. Das beste Beispiel sind die Einweg-Plastiksäckli in der Migros. Seit sie nicht mehr gratis sind, sondern symbolische fünf Rappen kosten, überlegen wir uns, ob wir wirklich eines brauchen», führt die Grüne-Politikerin, die 2023 für den Nationalrat kandidiert, weiter aus. Dadurch sei der Verbrauch innert dreier Jahre um 86 Prozent gesunken.

Bestehende Systeme würden zerstört

Swiss Recycling, der Dachverband der Schweizer Recycling-Organisationen, beschreibt das Pfand als «oft angepriesene Wunderwaffe». Die Schweiz habe ihr eigenes, einzigartiges Abfallsystem, das nicht nur ökologische, sondern auch finanzielle Anreize schaffe. «Wir begrenzen uns nicht nur auf Getränkeverpackungen, sondern wenden dieses Konzept auf den gesamten Abfall aus Haushalten an», sagt Kommunikationsleiterin Viviane Pfister. «Wir sind überzeugt, dass dieses gesamtheitliche Konzept sinnvoller ist als ein Pfand, das nur auf Getränkeverpackungen aus Alu, Glas und Pet wirkt.»

Ein Pflichtpfand würde laut Swiss Recycling ökologisch und ökonomisch «hervorragende Recyclingsysteme zerstören» ohne dass ein Mehrwert für Umwelt oder Bevölkerung geschaffen wird. Die Sorgen: Das Pflichtpfand zerstöre einerseits die bestehende Sammelinfrastruktur. Ob im Wohnquartier, am Bahnhof, im Büro oder an der Schule, die Konsumentinnen und Konsumenten könnten ihre leeren Flaschen und Dosen nicht mehr dort zurückgeben, wo sie die Getränke konsumieren.

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Teure Umstellung

Andererseits würden die Kosten steigen. Jährliche «Systemkosten» würden sich statt auf 90 Millionen auf 290 Millionen Franken belaufen. «Die Mehrkosten müssten schliesslich die Konsumentinnen und Konsumenten zahlen», so Pfister. Zusätzlich würden die Gemeinden Entschädigungen von rund 30 Millionen Franken pro Jahr verlieren, weil mit dem Pfand grosse Materialströme in den Handel umgeleitet würden.

Der wichtigste Punkt für Swiss Recycling ist, dass in der Schweiz eine erfolgreiche Recyclinglösung vorliegt und es deshalb keinen Grund gibt, ein Pfand einzuführen. Unter anderem deshalb, weil die vom Bund geforderten «Verwertungsquoten» von 75 Prozent von allen drei Getränkeverpackungen (Alu, Glas, Pet) deutlich übertroffen werden.

Mehr als 90 Prozent Alu und Glas kommt zurück

Verwertungsquoten beschreiben quasi die Rücklaufquote. Seit vielen Jahren sammeln Konsumentinnen und Konsumenten laut Statistik des Bundesamts für Umwelt (Bafu) über 80 Prozent der in Umlauf gebrachten Pet-Getränkeflaschen ein und übergeben sie der stofflichen Verwertung. Bei Aludosen und Glasflaschen sind es sogar 90 Prozent.

Das Pfand ist seit dem 5. Juli 2000 in der Verordnung über Getränkeverpackungen (VGV) geregelt. Darin ist festgehalten, dass der Bund ein Pfand einführen kann, wenn eine Verwertungsquote von 75 Prozent der jeweiligen Getränkeverpackung nicht erreicht wird.

Kann die Verwertungsquote bei einer Getränkeverpackung nicht erreicht werden, werde das Bafu die Ursachen fürs Nicht-Erreichen untersuchen, wie es auf Anfrage der Today-Redaktion schreibt. Ebenso werde es die Möglichkeiten prüfen, um die Verwertungsquote steigern zu können. «Die Einführung eines Pfandes ist eine von mehreren Möglichkeiten.»

Bafu ist zufrieden mit der aktuellen Lösung

Auch das Bafu lobt das bestehende, freiwillige System in der Schweiz. Die Verwertungsquoten seien teilweise besser als diejenigen von Ländern, die ein Pfandsystem eingeführt haben. Das Bundesamt nennt ähnlich wie Swiss Recycling den Kostenanstieg für eine neue Infrastruktur, den schlechteren Zugang der Bevölkerung und das Wegfallen aus der Zuständigkeit der Gemeinden als negative Folgen.

«Aus Sicht des Bafu ist es in der Schweiz gelungen, mit freiwilligen Branchenlösungen gut funktionierende und breit akzeptierte Systeme zur Sammlung und Verwertung von Getränkeverpackungen zu organisieren und finanzieren. Diese Lösungen haben sich bisher als effizient erwiesen. Das Bafu begrüsst solche freiwilligen Branchenlösungen.»

«Ich gebe nicht auf»

Die Solothurner Kantonsrätin Marlene Fischer hält gegen diese Argumente dagegen. Die Zahlen der Branche geben ein «etwas geschöntes» Bild ab, sagt sie. Die Branche habe schliesslich kein Interesse an der Einführung eines Pfandsystems. «In den meisten Gemeinden werden zum Beispiel Aludosen nicht separat gesammelt, sondern in Metallsammelstellen. Erst dann wird Alu wieder aussortiert. Die Rücklaufquote der Aludosen ist somit eine grobe Schätzung. Es gibt meines Erachtens keine Gründe, wieso die Quote bei den Aludosen deutlich höher sein soll, als bei den Pet-Flaschen.»

Sie gibt die Hoffnung nicht auf. «Das Beispiel Österreich zeigt, dass eine Veränderung möglich ist.»

veröffentlicht: 3. Oktober 2023 07:15
aktualisiert: 5. Oktober 2023 20:32
Quelle: Today-Zentralredaktion

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