Medizin

Forschende führen mehr belastende Tierversuche durch

22.08.2023, 17:02 Uhr
· Online seit 21.08.2023, 10:35 Uhr
Bei Experimenten kommen zunehmend besonders belastende Methoden zum Einsatz. Zudem erleiden die Laborratten oft einen grausamen Tod. Dies, obwohl der Bund Millionen für schonendere Versuche investiert.
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Alleine im Jahr 2021 experimentierten Forschende an 574’673 Versuchstieren, vor allem Mäuse. Zu den Zielen dieser Versuche gehört es, dass die Tiere Erkenntnisse für die Krebsforschung liefern. Stufe 3 belastet die Tiere bei Experimenten am stärksten. Laut Daten des Bundes kommen in dieser Kategorie immer mehr Tiere zum Einsatz. In zehn Jahren kam es zu einer Zunahme von 87 Prozent – dem höchsten Wert seit der Jahrtausendwende, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt.

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schreibt jedoch vor, dass die Anzahl Tierversuche und die Belastung der Tiere auf ein Minimum beschränkt werden müssen. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhielt die Zeitung Einsicht in kantonale Anträge für die Tierversuche.

«Tiere werden unweigerlich leiden»

Ein Gesuch im Zusammenhang mit 92 kardiologisch operierten Schafen aus Zürich kündigt etwa an, dass die Tiere «unweigerlich leiden» werden. Ein Gesuch aus dem Thurgau sieht vor, Tausende Fische mittels Strom in Wildgewässern zu elektrisieren und einzufangen, um die «Migration von Fischen» im Labor zu untersuchen. Den Forschenden ist bewusst, dass dies Angst und Stress auslöst und sich die Tiere verletzen könnten. Es bestehe aber keine schonendere Methode, halten sie fest. Zudem schreiben die Forschenden bei toxikologischen Tests in Zürich, die auch mit Fischen durchgeführt wurden, dass die eingesetzten Substanzen «bis zum Tod führen» könnten.

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Damit die Tiere möglichst keine Schmerzen spüren, kommen Ketamin, Morphium, Fentanyl und andere Opioide zum Einsatz. Leiden die Versuchstiere trotzdem, ist ein oft grausamer Tod meist die einzige Alternative.

Erstickungstod mit CO2

Die meisten Versuchstiere würden heute gruppenweise mit CO2 getötet», sagt Professor Hanno Würbel, Leiter der Abteilung Tierschutz an der Universität Bern und Präsident der nationalen Kommission für Tierversuchsethik. Obwohl es mittlerweile gute Evidenz gebe, dass diese Methode enorm belastend sein könne.

Seit 2020 stuft das BLV die Methode für Mäuse und Ratten nur noch als «bedingt zulässig» ein. Der Bund fördert deshalb ein Projekt, um Alternativen zu finden. Dennoch werden jährlich über 400'000 Mäuse und Ratten aus Tierversuchen mit CO2 getötet. Dabei handelt es sich um den Grossteil sämtlicher Labortiere.

Hanno Würbel bezeichnet die Methode als «keinen schönen Tod». Das CO2 reizt die Schleimhäute und führt danach zu Atemnot. Für schonender hält er den Einsatz eines Beruhigungsmittels und eines Narkosemittels.

Verfälschte Resultate

Das BLV sieht in der Anwendung von CO2 den Vorteil, «dass grössere Gruppen von Tieren in der vertrauten Umgebung des Heimkäfigs euthanasiert werden können und zusätzlicher Stress durch das Trennen und Fixieren der Tiere vermieden werden kann». Humanäre Tötungsmethoden hingegen könnten die Forschungsergebnisse beeinflussen und seien deshalb ungeeignet.

Ein weiteres Problem ist der Platz. Bei Ratten, Mäusen oder Meerschweinchen sieht das Gesetz im Vergleich zur Heimtierhaltung kleinere Mindestflächen vor. Vanessa Gerritsen, Juristin der Stiftung Tier im Recht, sieht darin eine ökonomische Überlegung. Laut Hanno Würbel kann der beschränkte Platz und der damit ausgelöste Stress zudem am Ende die Forschungsergebnisse verfälschen.

Der Bund investierte fast 12 Millionen in die Stiftung 3R, das für «replace» (ersetzen), «reduce» (reduzieren) und «refine» (verbessern) steht. Vor zwei Jahren sprach die Regierung 20 Millionen Franken zu für die weitere Förderung der drei «R» bis 2028. Laut dem BLV werden die 3R-Prinzipien «durchaus umgesetzt». Entsprechende Methoden würden laufend eingeführt, zeigten aber verzögert Wirkung. 2018 sei die Einteilung der Schweregrade angepasst worden. In der Folge hätten Forschende die Tiere eher höher einteilen müssen.

Gleichzeitig bestätigt das BLV, dass der Trend zu mehr schweren Experimenten auch schon Jahre vor der Anpassung bestand.

(bza)

veröffentlicht: 21. August 2023 10:35
aktualisiert: 22. August 2023 17:02
Quelle: Today-Zentralredaktion

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