Sharenting

Liebe Eltern, hört auf, eure Kinder online zu stellen!

· Online seit 15.02.2023, 06:59 Uhr
Mal kurz ein süsses Foto des eigenen Kindes auf den sozialen Medien teilen – klingt unschuldig, kann aber Folgen haben. Denn: Kinder haben das Recht am eigenen Bild. Und das Internet vergisst nie.
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Stell dir vor, deine Eltern posten gegen deinen Willen Kinderfotos von dir auf den sozialen Medien. Nicht cool, oder? Genau das geschieht tagtäglich. Das Phänomen nennt sich «Sharenting» – eine Kombination der Wörter «oversharing» und «parenting». Für Stars wie die Kardashians zählt es zum guten Ton, ihre Kinder auf Instagram und Co. vorzuführen.

Und auch auf TikTok häufen sich Userinnen und User, die ihr Privatleben online stellen – und ihre Sprösslinge unzensiert zeigen.

Seien es die Kardashians, TikTok-Stars oder Leute mit nur wenigen Followern – die Frage nach dem «Warum?» stellt sich. Kinder können härzig sein, klar. Aber sind solche Posts auch in ihrem Sinne?

Artikel 16 der Kinderrechtskonvention (KRK) sichert ihnen eigentlich das Recht auf Privatsphäre.

Ist demzufolge jeder Post eines Kinderfotos auf den sozialen Medien ein Gesetzesverstoss? Und sind ein paar Likes und Kommentare mehr wert als das Kindeswohl?

Jedes Kind hat das Recht am eigenen Bild

Das Bedürfnis, das Leben von Kindern online zu teilen, erklärt Medienerziehungsberater und Medienpädagoge Beat Richert folgendermassen: «Das erste Mal Eltern zu werden, ist ein ganz besonderes Erlebnis. Man ist in einem irrationalen Zustand und möchte das Freudegefühl teilen. Dank der omnipräsenten Handykameras besteht eine einfache Möglichkeit, genau dies zu tun.»

Oft beginne Sharenting bereits, wenn das Kind noch nicht einmal geboren wurde – nämlich mit dem Teilen von Ultraschall-Bildern. «Die Blindheit, die wir in dieser Vorfreude haben, raubt uns die Objektivität, um das zu hinterfragen und zu wissen, was passieren kann.»

Und passieren kann einiges. Die wenigsten dürften gefilmte Trotzanfälle oder breiverschmierte Fotos von sich selbst als Kind besonders toll finden – das ist die eine Seite. Doch die Aufzeichnungen können auch in falsche Hände gelangen und missbraucht werden. Ein Post hier, ein Screenshot da – viel Aufwand braucht es nicht, um Bildmaterial zu sichern – und wiederzuverwenden. Sei es für Werbungen oder auf Foren von Pädophilen.

Postende Eltern verletzen Kinderrechtskonvention und Datenschutzgesetz

Nebst der Kinderrechtskonvention soll auch das Datenschutzgesetz die Privatsphäre der Kinder schützen. Laut Datenschutzexpertin Sandra Husi-Stämpfli besteht damit eigentlich ein gesetzliches Gesamtkonstrukt, dass die Persönlichkeitsrechte von Kindern schützen soll. «Eltern dürfen – im Rahmen ihrer zivilrechtlichen elterlichen Sorge – Daten und Fotos ihrer Kinder bearbeiten. Aber eben nur, wenn das im Interesse des Kindeswohls ist», erklärt Husi-Stämpfli. So sei es absolut legal, einer Arztperson den Gesundheitszustand eines Kindes anhand von Fotos zu beschreiben.

«Wenn man jedoch das Thema Sharenting betrachtet, werden Fotos in grossem Stil im Internet veröffentlicht. Das stellt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte dar, die von der elterlichen Sorge nicht mehr gedeckt ist und auch nicht gerechtfertigt werden kann. Somit verletzen Erziehungsberechtigte durch Sharenting die Kinderrechtskonvention und auch das Datenschutzgesetz.»

Eltern früh sensibilisieren

Möchte man sich gegen Sharenting zur Wehr setzen, bleiben nicht viele Möglichkeiten. Kinder und Jugendliche könnten sich an die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde KESB wenden, sagt Husi-Stämpfli. «Die KESB würde versuchen, zwischen Kindern und Eltern zu vermitteln.» Wenn dies nicht funktioniere, bleibe der zivilrechtliche Weg: der Gang vors Gericht. «Im familiären Kontext ist das natürlich sehr unschön.» Damit es nicht zu solchen Situationen komme, müssten die Eltern bereits früh sensibilisiert werden, welche Konsequenzen Sharenting haben kann, so die Datenschutzexpertin. Denn: «Je mehr Daten von Kindern und Jugendlichen veröffentlicht werden, desto mehr nimmt man ihnen die Möglichkeit, in der Gesellschaft die Person zu sein, die sie sein möchten.»

«Respekt vor den eigenen Kindern nicht verlieren»

Auch Medienerziehungsberater Beat Richert plädiert für mehr Sensibilität seitens der erziehungsberechtigten Personen. «Eltern, die um soziale Akzeptanz oder Anerkennung ringen, sollten sich immer wieder ins Bewusstsein rufen, den Respekt vor den eigenen Kindern nicht zu verlieren.»

Auch die Stiftung Pro Juventute macht online auf das Sharenting-Phänomen aufmerksam. «Wir empfehlen Eltern, auf die Privatsphäre des Kindes zu achten und sich immer zu überlegen, ob das Foto dem Kind in Zukunft schaden könnte und ob es später auch noch gerne gesehen wird», sagt Lulzana Musliu-Shahin, Leiterin Politik & Medien der Stiftung.

Es empfehle sich zudem, Kinder ab sechs, sieben Jahren in den Prozess einzubeziehen, ob Fotos einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden oder nicht. Selbstverständlich sei auch die Meinung kleinerer Kinder zu respektieren, sagt Pro Juventute.

veröffentlicht: 15. Februar 2023 06:59
aktualisiert: 15. Februar 2023 06:59
Quelle: BärnToday

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