Lohndiskriminierung

Urteil mit Signalwirkung – Inselspital hat Ärztin diskriminiert

31.01.2024, 17:22 Uhr
· Online seit 30.01.2024, 18:17 Uhr
2014 wurde die Berner Oberärztin Natalie Urwyler vom Inselspital unrechtmässig gekündigt. Nachdem sie sich bereits erfolgreich gegen die Kündigung gewehrt hatte, machte sie vor Gericht weitere Diskriminierungen geltend. Nun erhält sie vom Berner Regionalgericht diesbezüglich erneut teilweise recht. Es ist ein Urteil mit Signalwirkung.

Quelle: TeleBärn / Mirjam Klaus / BärnToday / Warner Nattiel

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Der Fall Urwyler bewegte vor ein paar Jahren die ganze Schweiz. Etliche Medien berichteten über die Frau, die als erste wegen Geschlechterdiskriminierung Schadenersatz forderte. Nun liegt das Urteil des Berner Regionalgerichts vor. Es zeigt, dass Urwyler nach der erfolgreichen Klage gegen ihre Kündigung nun erneut teilweise Recht erhält.

Die Richterin schreibt unter anderem, dass die Klägerin geschlechterspezifisch diskriminiert wurde. Das hat Signalwirkung, denn Urteile gegen eine Beförderungsdiskriminierung sind selten. Der Entscheid des Regionalgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Er kann noch weitergezogen werden. Ebenso wird noch noch ein Gericht entscheiden, wie viel Geld die Ärztin vom Inselspital bekommt. Ob das Inselspital das jüngste Urteil weiterzieht, ist noch offen.

Der Anwalt der Ärztin, Rolf P. Steinegger, sprach am Mittwoch vor den Medien in Bern von einem «wegleitenden Urteil». Es reiche nicht, wenn Betriebe einfach behaupteten, sie würden Frauen fördern, es brauche eben auch entsprechende Taten.

Juristisches Neuland

Mit der Klage wegen Beförderungsdiskriminierung habe die Ärztin in der Schweiz juristisches Neuland betreten, würdigte die Juristin und Gleichstellungsexpertin Zita Küng das Urteil. Seit 1996 gebe es in der Schweiz ein Gleichstellungsgesetz, aber es sei eben schwierig, nachvollziehbar und glaubwürdig darzulegen, warum man diskriminiert worden sei. Denn: In den allermeisten Betrieben seien Lohn- und Beförderungsfragen ein Tabu.

Das Urteil sei eine Absage an eine Betriebskultur der Verschwiegenheit, wenn es um Lohn- und Beförderungsfragen gehe. Solche Entscheide zu Lohn und Beförderung dürften nicht einfach «freihändig» nach Gutdünken gefällt werden. «Das muss jetzt nachvollziehbar und diskriminierungsfrei gemacht werden», betonte Küng. «Wir brauchen mehr Transparenz und Klarheit, was in den Betrieben läuft». Die Politik müsse sich auch überlegen, ob es im Gleichstellungsgesetz weiter Klärungen brauche, um langwierige Rechtsverfahren wie im Fall der Ärztin künftig zu verhindern.

Ein langer Weg

Erfreut über das Urteil zeigte sich auch Yvonne Schärli, die ehemalige Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen. Dieses werde Auswirkungen haben. Es sei wichtig, dass eine Frau diesen äusserst schwierigen und aufreibenden Rechtsweg gewählt habe, betonte sie. Viele andere Frauen könnten dies nicht.

Die Ärztin sprach selber von einem ermüdenden, langen Weg, den sie nun zehn Jahre lang gegangen sei. Doch sie sei froh darum. Sie wünsche sich für andere Frauen, dass es in Zukunft nicht mehr nötig sein werde zu prozessieren. Und sie hoffe, dass die Politik reagiere und in wenigen Jahren Frauen in Führungspositionen besser vertreten sein werden.

Was ist passiert?

Während ihrer Anstellung beim Inselspital Bern brachte Natalie Urwyler im Juni 2014 ein Kind zur Welt. In dieser Zeit des unbezahlten Urlaubs erhielt sie vom Inselspital die Kündigung. Die Begründung war, dass das Arbeitsverhältnis belastet worden und das gegenseitige Vertrauen nicht mehr gegeben sei. Bereits vor diesem Vorfall hatte sich Urwyler mehrmals für die Einhaltung des gesetzlichen Mutterschutzes und für Gleichstellung am Arbeitsplatz eingesetzt.

Entschlossen, für ihre Rechte einzutreten, zog Natalie Urwlyer vor Gericht und argumentierte unter Berufung auf das Gleichstellungsgesetz, dass ihre Kündigung eine Form der Rachekündigung darstellte. Schlussendlich entschied das Regionalgericht Bern-Mittelland (2017) und dann auch das Obergericht (2018) zugunsten von Urwyler. Das Inselspital wurde verpflichtet, die Kündigung zurückzunehmen und ihr eine beträchtliche Nachzahlung von 465000 Franken zu leisten.

Schadenersatz wegen Diskriminierung

Im Jahr 2020 dann reichte Natalie Urwyler eine Schadenersatzklage gegen das Berner Inselspital ein. Sie argumentierte, dass dies die Differenz zwischen dem Einkommen sei, das sie ohne die Kündigung hätte erzielen können, und dem Einkommen, das sie aufgrund der eingeschränkten Karrieremöglichkeiten nun erhalten werde. Die Kündigung habe ihre Chancen auf eine Professur oder eine Position als Chefärztin zunichte gemacht.

Mittlerweile arbeitet die 50-Jährige Urwyler am Kantonsspital Sitten als leitende Ärztin Anästhesie und Reanimation.

veröffentlicht: 30. Januar 2024 18:17
aktualisiert: 31. Januar 2024 17:22
Quelle: BärnToday

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