«Lebenslänglich?»

Schweizer True-Crime-Podcasterinnen erzählen von ihren Fällen

01.06.2023, 08:32 Uhr
· Online seit 31.05.2023, 20:41 Uhr
True-Crime-Podcasts wie «Mordlust» und «Mord auf Ex» erleben einen Hype. «Lebenslänglich?» ist der erste solche Podcast, in dem es um Schweizer Fälle geht. Im Interview erzählen die Journalistinnen Anja Leibacher und Sheryn Locher, was sie an True-Crime fasziniert und wie sie beim Podcasten vorgehen.
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Anja Leibacher und Sheryn Locher produzieren gemeinsam «Lebenslänglich? Der Schweizer True Crime Podcast». Darin erzählen sie von Verbrechen in der Schweiz und erklären, wie das Schweizer Justizsystem funktioniert. Es ist der bisher einzige und erste Schweizer True-Crime-Podcast. Und er hat mittlerweile 15 Folgen – in einigen geht es auch um Berner Fälle.

Wo ist der Ursprung eurer True-Crime-Love?

Sheryn Locher: In der Coronazeit war mir langweilig. Ich habe Podcasts «durchgesuchtet» und kam irgendwann auf True-Crime – das hat mich am meisten fasziniert.

Anja Leibacher: Bei mir hat True-Crime den Ursprung auf einer Flixbus-Fahrt nach Genua: Ich habe mit einer Kollegin abgemacht, dass wir Podcasts herunterladen. Die Podcasts, die ich normalerweise höre, waren mir aber etwas peinlich. Ich habe True-Crime heruntergeladen und es hat mich sofort gefesselt.

Wie und wo findet ihr eure Fälle?

Sheryn Locher: Häufig recherchieren wir zuerst oberflächlich im Internet und lesen Medienberichte. Wenn wir uns für einen Fall entschieden haben, suchen wir Experten als Interviewpartner. Teilweise fragen wir die Polizeiakten an oder gehen ins Staatsarchiv recherchieren. Irgendwann haben wir so viele Informationen, dass es für eine Folge reicht.

Wie lange dauert es, einen Fall vollständig zu recherchieren?

Anja Leibacher: Es kommt sehr darauf an. Wenn es ein Fall ist, wo wir kein Interview machen oder es schon viele Informationen gibt, sind wir viel schneller. Aber wenn es Fälle sind, wo man von Grund auf selber im Archiv suchen geht, Interviews macht und die Sachen zusammensucht – da kann es schon sein, dass mehrere Tage draufgehen. Aber es macht uns ja Spass, darum ist das egal.

Welcher war bisher der kniffligste Fall zum Recherchieren?

Sheryn Locher: Für mich war es Fall 10: «Mord in Kehrsatz».  Erstens hatte ich zwei Interviewpartner und am Anfang nicht so viele Infos. Dann habe ich ein Buch gelesen und musste die vielen Informationen daraus und aus den beiden Interviews herunterbrechen. Und es gab noch verschiedene Theorien, weil es ein Cold Case ist – also er ist nicht gelöst. Das war mega kompliziert und brauchte recht viel Zeit.

Anja Leibacher: Für mich war es die Folge, in der ich mich mit der Todesstrafe beschäftigt habe. Das Thema hat mich wahnsinnig fest interessiert und ich wollte alle Informationen in eine Folge packen. Das herunterzubrechen und schlussendlich das zu nehmen, was wirklich relevant ist und einen Grossteil der Hörerschaft auch wirklich interessiert – das war etwas knifflig.

Sind die Recherchen teilweise deprimierend? Wie geht ihr mit den krassen Fakten um?

Sheryn Locher: Deprimierend ist vor allem, dass wir nicht gut an Informationen von offiziellen Stellen wie Staatsanwaltschaft oder Polizei herankommen. Weil es in der Schweiz einen sehr guten Persönlichkeitsschutz gibt und sie die Sachen nicht einfach herausgeben können. Natürlich sind die Fälle auch deprimierend – weil immer Verbrechen passieren: Es stirbt jemand oder ein anderes Verbrechen findet statt. Das ist nicht immer einfach.

Anja Leibacher: Wir machen den Podcast gern, aber wenn es dafür keine Verbrechen mehr geben würde, würden wir ihn gern aufgeben.

Nehmt ihr jeden Fall?

Sheryn Locher: Ja, eigentlich nehmen wir jeden Fall, egal ob er verjährt ist oder nicht. Uns ist einfach wichtig, dass die Personen geschützt werden. Wenn es erst gerade passiert ist, dann ändern wir die Namen. Man findet auch Verbrechen an Kindern, die mega schlimm sind. Auch diese wollen wir erzählen, weil wir finden, das braucht es einfach. Aber wir tun natürlich extra eine Trigger-Warnung dazu.

Anja Leibacher: Wir schauen darauf, dass die Leute, die durch irgendetwas getriggert werden könnten, nicht darauf stossen.

Was ist euer Ziel mit dem Podcast?

Sheryn Locher: Wir wollen Geschichten erzählen, aber nicht nur. Wir haben auch einen Bildungsauftrag: beispielsweise juristische, kriminalistische oder psychologische Fragen zu beantworten und so Leuten, die Laien in dem Thema sind, helfen zu verstehen, wie es in der Justiz abläuft.

Ihr besprecht im Podcast die Verbrechen und Gerichtsprozesse – zieht ihr Grenzen beim Kommentieren der Fälle?

Anja Leibacher: Bisher hatten wir nie den Moment, wo wir dachten, dass etwas raus muss. Aber ich kann mir vorstellen, dass wenn wir richtig gehypt sind und es vor der Aufnahme und auch währenddessen lustig haben, manchmal etwas weg vom Ernsten kommen und vielleicht etwas Blödes herauslassen, das nicht angebracht ist. Das würden wir sicher herausschneiden. Ab und zu passieren uns Versprecher, die wir auch herausschneiden. Es ist fürs Hörerlebnis nicht schön und es ist respektlos – und das wollen wir definitiv nicht vermitteln.

Was bekommt ihr für Reaktionen?

Sheryn Locher: Hauptsächlich sind es schon positive Feedbacks, das freut uns sehr. Viele sagen auch, dass es sehr professionell wirkt oder einfach spannend und informativ sei und man etwas dabei lerne.

Anja Leibacher: Ich glaube, wenn man mit so einem Podcast an die Öffentlichkeit geht, ist klar, dass es Reaktionen von Leuten gibt. Es gibt viele, die sagen, dass sie es nicht so cool finden würden, dass wir die Geschichten dieser Leute erzählen. Aber wir erzählen genau diese Geschichten, weil wir nicht wollen, dass die Menschen vergessen werden. Ihnen hat jemand gegen ihren Willen das Leben beendet, ich finde, man sollte das nicht vergessen. Gleichzeitig muss man sehen, wir sind Journalistinnen und berichten darüber, was die Leute interessiert. Und das ist – so schlimm es auch ist – Mord und Totschlag und alles, was schlimm ist auf der Welt.

Gibt es irgendwann keine Fälle mehr für euch?

Anja Leibacher: Das wäre schön, aber so ist es leider nicht. Ganz am Anfang hatten wir das Gefühl, es gibt ein paar wenige Fälle, wo in der Schweiz jemand umgebracht worden ist… Aber nach ein paar Wochen haben wir gemerkt, dass unsere Liste viel, viel schneller wächst, als wir sie abarbeiten können.

Sheryn Locher: Als wir das Konzept für den Podcast geschrieben haben, haben wir uns überlegt, nur jeden Monat einen Schweizer Fall zu machen und jede zweite Woche einen ausländischen Fall. Wir dachten, Schweizer Fälle gibt es nicht so viel und irgendwann gehen sie aus. Aber wir haben gemerkt, es gibt viele Fälle.

Was denkst du zu True-Crime-Podcasts? Kennst du die Fälle? Schreib es uns in die Kommentare.

veröffentlicht: 31. Mai 2023 20:41
aktualisiert: 1. Juni 2023 08:32
Quelle: 32Today

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