«Die Veranstaltungen in Wolfisberg und Niederbipp haben den Freiheitstrychlern, der Jungen Tat und den Freunden der Verfassung eine Plattform geboten, ihre extremen rechtspopulistischen Parolen und ihr lärmendes Gehabe einem grösseren Publikum darzubieten», heisst es in einem offenen Brief. Über 20 Personen, die meisten von ihnen aus Niederbipp, sprechen in diesem Brief ihr Entsetzen über die Bilder aus, die sich an den Info-Veranstaltungen im Juni boten. Die Anwesenden seien gegen den Kanton Bern aufgehetzt worden.
Bürgergemeinde: «Regierung hätte reagieren sollen»
Die Unterzeichnenden werfen dem Gemeinderat und dem Gemeindepräsidium vor, diese Gruppierungen an die Veranstaltung mitgenommen und toleriert zu haben. Und: «Zudem hat auch der Regierungsstatthalter seine Aufgabe, solche hetzerischen Gruppierungen vom Platz zu weisen, nicht wahrgenommen.» Ein Grossrat und Nationalratskandidat habe mitgemischt - offensichtlich eine Anspielung auf den Niederbipper SVP-Grossrat und Gemüsebauer Beat Bösiger.
Das Ziel des Briefes sei gewesen, dass sich der Gemeinderat klar gegen die rechtspopulistischen Parolen diverser Gruppierungen positioniert und sich von ihnen distanziert. Denn für Daniel Gnägi, Mitunterzeichner und Einwohner von Niederbipp, ist klar: «Es ist beängstigend und schockierend, was für Parolen durch die Luft geflogen waren.»
Tatsächlich waren solche Gruppierungen vor Ort und machten Stimmung gegen die Migrantinnen und Migranten und die Behörden. Dies zeigt auch dieses Video:
Quelle: BärnToday / Warner Nattiel / Nicola Lohri
Gemeindepräsidentin: «Habe die Veranstaltung nicht als Schlammschlacht erlebt»
Sibylle Schönmann, Gemeindepräsidentin von Niederbipp (SVP), wusste bei der Anfrage der Today-Redaktion noch nichts von einem solchen Brief. Nach der Lektüre gibt sie sich entsetzt: «Der Brief befremdet mich. Er wirft ein extrem negatives Licht auf die Gemeinde. Wäre es so gewesen, wie beschrieben, wären wir ganz klar eingeschritten.» Der Kanton habe die Veranstaltung organisiert, der Gemeinderat und die Gemeindepräsidentin seien nur als Gäste da gewesen.
«Wenn, dann hätte der Kanton oder der Regierungsstatthalter reagieren müssen. Sie sind aber nicht eingeschritten, weil es keinen Anlass dazu gab», erklärt Schönmann. Gemäss der Gemeindepräsidentin hätte die Gemeinde mit den rechtsextremen Gruppierungen nichts zu tun: «Die Freiheitstrychler zum Beispiel wurden nicht von uns eingeladen, die sind von selbst gekommen.» Auch mit den rechtsextremen Plakaten habe sie nichts am Hut.
«In der Schweiz herrscht freie Meinungsäusserung»
Die einzelnen Gruppen zu erkennen, das sei nicht möglich gewesen, so Schönmann. Niederbipp habe eine Bevölkerung von 5500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Da könne man nicht jeden einzelnen kennen. «Die Freiheitstrychler sieht und hört man, doch die anderen konnte man nicht erkennen.»
In der Schweiz herrsche freie Meinungsäusserung. Solange sich die ungebetenen Gäste nicht störend in eine Menge einmischten, gebe es keinen Grund, sie wegzuweisen. «Während Corona waren sie ja auch vor dem Bundeshaus, ohne dass sie jemand fortgeschickt hat.» Gemäss der Gemeindepräsidentin werde das Thema in den Medien übertrieben dargestellt: «99 Prozent der Teilnehmenden, die sich zu Wort meldeten, waren Bürgerinnen und Bürger», so Schönmann.
Bürger fühlen sich im Stich gelassen
Die Bürgerinnen und Bürger seien an den Infoveranstaltungen sehr emotional gewesen. «Unsere Bürger fühlen sich vom Kanton im Stich gelassen, weil dieser nur wenige Antworten liefern konnte», so Schönmann. Wenn eine Person anwesend sei, die Stellung zur Ausländerfrage nimmt, dann fühlen sie sich verstanden. «Die haben sich wohl gedacht: Diese Stimmen unterstützen uns jetzt». Deshalb habe es leider dann solche Szenen gegeben. «Die Bevölkerung wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir hatten nicht die Möglichkeit, über diese Thematik zu diskutieren», erklärt Schönmann weiter.
Auch für Daniel Gnägi ist klar, dass die neue Asylunterkunft Fragen aufwirft. Doch solle eher nach Lösungen gesucht werden statt eine Verweigerungshaltung einzunehmen. «Es ist normal, dass es gewisse Ängste gegenüber dem ‹Fremden› gibt. Doch das rechtfertigt rechtsextreme Parolen keineswegs», sagt Gnägi.
Offener Brief sei eine reine Ablenkung
Die Gemeindepräsidentin bedauert, dass sie erst nach den Medien vom offenen Brief erfahren hat: «Das Schreiben lenkt wieder vom Thema ab und bietet den rechtsextremen Gruppierungen erneut eine Plattform.» Die Verfasser des Briefes hätten sich laut Schönmann bereits an der Versammlung melden sollen. Der offene Brief, der gezielt an die Gemeindepräsidentin und die Gemeinderatsmitglieder gerichtet ist, werde am 3. Juli an der Gemeinderatssitzung besprochen.
«Ich finde es schade, dass wir jetzt nur über die Rechtsextremen reden und das Problem mit der Asylunterkunft und der misslungenen Kommunikation mit dem Kanton nicht im Zentrum steht», so Schönmann. Der Gemeinderat setze sich nämlich für das Wohl der Bürger ein. «Deshalb finde ich es nicht in Ordnung, wie der Kanton kommuniziert hat.» Um das eigentliche Problem anzugehen, sei eine Petition im Gange. «Am Mittwoch werden wir die Petition in Bern übergeben.»
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